Sonntag, 29. April 2007

Tierleben

Es ist eine interessante Zeiterscheinung, dass ein wildes Tier, nur weil es noch klein ist und knuffig aussieht, eine Welle der Begeisterung auszulösen vermag. Eisbär Knut dürfte jedoch schon in ein paar Wochen halb und spätestens in einem Jahr ganz vergessen sein. Weniger die inzwischen zahllosen Berichte in Radio, Fernsehen und Presse (die Dynamik der Medien hat ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten), mehr noch die Besucherströme, die (nicht nur) im Knut-Zoo dadurch ausgelöst wurden, stellen in meinen Augen ein nachdenkenswertes Phänomen dar.

Nicht schlecht übrigens die Diskussion, die gleichzeitig dadurch in Gang kam: Als wie natur- und damit tiergerecht die Zurschaustellung von wilden Tieren in von Menschenhand angelegten Tierparks denn gelten darf. Es ist gut, wenn wir uns ab und zu Rechenschaft darüber zu geben versuchen, was denn eigentlich der Grund und was das Ziel unserer Handlungen ist. Und somit, wie viel Sinn beides macht. Und last but not least, ob es gut ist. Konkreter: Ob man es nicht anders machen sollte.

Haug von Kuenheim hat in der aktuellen ZEIT einen interessanten Hintergrundbericht vorgelegt. Anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Hamburger Tierparks (zur Gründungszeit im preußischen Stellingen vor Hamburgs Toren, erst später eingemeindet) zeichnet er das Leben von Carl Hagenbeck nach, der mit diesem Park die Zurschaustellung von wilden Tieren revolutionierte. Es wird nicht verschwiegen, dass Hagenbeck vermittels seiner Tierfänger nicht zimperlich im Umgang mit der Kreatur war, die er ausstellte. Und dass zu dieser Kreatur auch Menschen aus anderen Ländern gehörten. Als Beginn von Hagenbecks „Völkerschauen“ war etwa im Jahre 1874 [!] die Ausstellung von sechs Lappländern (drei Männer, eine Frau, ein vierjähriges Mädchen und ein Baby) eine Sensation. Die Einschätzung von Kuenheims: „An sich ist es nichts Neues, dass Menschen aus fernen Welten in Europa präsentiert werden, sei es auf Jahrmärkten oder an Fürstenhöfen. Aber es ist Hagenbeck, der dieser Sparte des Schaugewerbes neue Dimensionen gibt.“ Hagenbeck untermauert mit seinen Völkerschauen u.a. auch die Indianerromantik und das Klischee des „edlen Wilden“, das durch Karl May bereits im Schwange war. Die Leute strömten nur so zu seinen insgesamt über 50 Schauen.

Kopfschüttelnd nimmt man zur Kenntnis, dass wir in einer Kultur leben, in der unangefochten solche Menschen als Größen unserer Vergangenheit betrachtet werden. Hagenbeck galt als Tierfreund, und einflussreiche Menschen seiner Zeit ergriffen Partei für ihn. Weniger verwunderlich, dass darunter auch Kaiser Wilhelm II. war, der lieber Hagenbecks Tierpark als den Berliner Zoo besuchte. (Auch Herrscher unterliegen den eigenen Gesetzmäßigkeiten ihrer Allüren.) Befremdlicher, dass Fachleute Hagenbeck begeistert feierten und gegen Kritiker verteidigten, darunter der Berliner Mediziner und Anthropologe Rudolf Virchow und Zoodirektor Alfred Brehm, dessen Tierleben ich als Kind begeistert las. Sogar Caruso sang: „Deutschland und Stellingen, das muss man gesehen haben.“

Bisher wusste ich übrigens nicht, dass die Entwicklungen zum Zoo und zum Zirkus eng miteinander (und auch natürlich mit dem Namen Hagenbecks) verzahnt sind. Liegt aber nahe. Der jüngere Bruder Wilhelm Hagenbeck machte sich in der Tierdressur einen Namen, aber auch Carl trat erfolgreich als Dompteur auf.

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