Dienstag, 21. November 2006

Verständigung

In einer Gesellschaft, in der

die Kommunikation bereits zum Industriezweig wurde, ist Verständigung nicht selbstverständlich, sondern im Grunde eine ständige dauernde Herausforderung. Das musste ich vorhin wieder denken, als ich mit dem Fahrrad vom Einkaufen zurückkam.

Ein Auto hielt vor unserer Hofeinfahrt. Das passiert oft, denn nebenan ist ein Eventhaus, und Leute suchen einen kurzen Standplatz, um Karten zu kaufen oder sich Prospekte zu holen. Daher erkannte ich den Nachbarn erst, als er aus dem Auto stieg. Immerhin war es dunkel, überall Lichtreflexe, und ins dunkle Innere eines Autos kann man nicht ohne Weiteres gucken. Ich fühlte mich zu einer kurzen Erklärung bemüßigt und bekam tatsächlich das Feedback, ja, das bedenke man ja gar nicht, wenn man drinnen im Auto sitzt. Wir lachten miteinander, wünschten einander einen schönen Abend, und alles war paletti.

So muss man es machen Ja, so muss man es wirklich machen, dachte ich. Dauernd sich in den anderen hineinversetzen. Prüfen, wie wirkt das jetzt auf andere, was ich gerade tue. Eventuell sich erklären, notfalls mit Gesten, usw. usf. Anstrengend irgendwie, manchmal wirkt es auf mich auch wie der ständige Druck, sich zu rechtfertigen. Tue ich etwas, was der andere nicht versteht, weil er den Hintergrund nicht erkennt oder weil er seinerseits sich nicht in mich hineinversetzt, riskiere ich Spannungen, Ärger, ggf. Schimpfworte oder Drohungen (Straßenverkehr!).

Das erinnert mich an eine ganz ähnliche Begebenheit, die vor ein paar Jahren passierte. Ebenfalls vor dem Haus, beim Aufschließen der Tür und Hineinschieben meines Rades in die Toreinfahrt. Ein junger Hausbewohner, schätzungweise halb so alt wie ich, kam mit seinem Auto dahergefahren und hielt zeitgleich mit mir. Als er den Schlüssel in meiner Hand sah, stieg er nicht aus wie sonst, sondern wartete offensichtlich, dass ich ihm das Tor aufmache. Ich ging durch die Fußgängertür und war in der Lage, diese mit einer Hand so weit aufzudrücken, dass sie hinten einrastete und nicht mehr zufiel. Das war als Entgegenkommen meinerseits gedacht; der Nachbar müsste so nicht den Schlüssel zücken, sondern könnte einfacher als sonst das restliche Tor zum Hineinfahren öffnen. Den größeren Torflügel, der für Autos geöffnet werden muss, ließ ich, wie er war. Im Weitergehen drehte ich mich nochmal kurz um und sah, wie er nun tatsächlich dem Wagen entstieg, aber alle Bewegungen wirkten zackig und ruckhaft wie bei einem, der sich ärgert.

Blöd gelaufen Doof, dachte ich damals bei mir, das ist blöd gelaufen. Wer nicht selber regelmäßig Fahrrad fährt, weiß vielleicht nicht, dass es heikel ist, ein bepacktes Zweirad abzustellen. Nein, nicht nur, wenn man es auf den Ständer stellt, selbst wenn man es an eine Wand anlehnt. Der Schwerpunkt des Rades liegt mit einem Sixpack 1,5-Liter-Wasserflaschen und einem vollbepackten Karton auf dem Gepäckträger ziemlich hoch und die Kipprate ist enorm. Es fordert übrigens bereits einige Übung, ein Fahrrad zu halten und gleichzeitig sich weit vorzubeugen, ein Schloss mit Schlüssel zu öffnen und anschließend, ohne umzukippen oder hängenzubleiben, das Rad durchs Tor zu schieben. Es gibt Leute, die ziehen es vor, das Fahrrad auf den Ständer zu stellen, das Tor zu öffnen und einzuhängen, das Fahrrad durchzuschieben und erneut abzustellen, um dann das Tor zu schließen. – Das also ganz abgesehen von der schon erwähnten Bepackung.

Seit diesem Ereignis waren die zufälligen Treffen mit diesem jungen Mann im Treppenhaus oder auf dem Hof anders als bisher. Er wirkte abweisend und eilig. Auch an dem Tag selber, als ich mein Fahrrad abgeschlossen hatte und, in beiden Armen meine Einkäufe, mich vom Fahrradunterstand zur Haustüre bewegte und an ihm vorbeiging, ihn besonders freundlich grüßte (um zu markieren: hey, ich hab getan, was mir möglich war) – da war ein Rolladen runtergegangen. Hat mir leid getan und mich jahrelang beschäftigt.

Heute denke ich wieder dran und fühle mich bestätigt: Man muss sich offensichtlich dauernd erklären. Und frage mich, ob ich mich auch so schlecht in andere hineinversetzen kann. Und ob es wirklich nötig ist, ständig Erklärungen abzugeben. Mir scheint es nämlich weit verbreitet, dass Leute nur dumpf vor sich hin gehen und ihr Sach machen, ohne rechts und links zu gucken. Mein Eindruck ist, viele sind nicht an Abstimmung interessiert und bedienen sich einfach an den Situationen, die sich bieten, womit Gedankenlosigkeit schnell zum Egoismus mutiert. Nur als Beispiel, was ich meine: Dazu gehören etwa auch die Leute, die bei Stau in eine Kreuzung hineinfahren, sodass dann auf der Querstraße auch ein Stau entsteht, weil denen bei Grün eine Autoschlange quer vor der Kühlerhaube steht ...

Und die Profis? Bestätigt fühle ich mich in dieser Einschätzung, weil ich es oft erlebe, dass selbst bei Dienstleistern dem Kunden gegenüber solch eine – nun, nennen wir es zurückhaltend Gedankenlosigkeit – an den Tag gelegt wird. Oder bei Ämtern, sogar in krassen Fällen, siehe manche Texte (und besonders diesen) von der GEDANKENTRÄGERin, deren Beiträge ich gerne lese. Geschäfte, Handwerker usw. sowie Ämter sind in Sachen Umgang mit Menschen ja eigentlich Profis, sollte man meinen. Es gehört zu ihrem Job, die Situation und das Bedürfnis ihrer Kunden zu erkennen und zu berücksichtigen. Wenn die das oft nicht einmal schaffen, wie soll es dann Otto Normalverbraucher hinkriegen?

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