Samstag, 24. Februar 2007

Glashaus

Da hat mal wieder so ein „Familienexperte“, selber unverheiratet und in seinem gut bezahlten Job mit garantiert lebenslanger Anstellung in so etwas wie Frauenkleidern herumlaufend, gemeint, er müsse was Gescheites zur Familienpolitik sagen. Herausgekommen ist dabei eine schäbige Augsburger Kirchenkiste mit viel zerbrochenem Glas und ein bunter Mix a n Antworten aus vielen Bereichen des öffentlichen Lebens – zumeist empört, und das zu recht.

Es gibt genügend Familien, die in der Frage, ob nach der Geburt eines Kindes bald wieder beide Eltern arbeiten, gar keine Wahl haben: Um finanziell durchzukommen, MÜSSEN beide Eltern Geld verdienen. Diese Tendenz wird eher zu- als abnehmen; die Entwicklung geht gesamtgesellschaftlich sogar für den einzelnen Beschäftigten zum Mehrfachjob, für Paare und Familien erst recht.

Ich bin kein Fan von Ursula von der Leyen. Aber ausgerechnet ein Vertreter der katholischen Kirche befürchtet, dass die Politik die Frauen zu Gebärmaschinen degradiert? Das ist für sich genommen schon ein Lachblatt. Aber argumentativ gedacht: Was spricht denn ernsthaft dagegen, dass beide Eltern arbeiten und das Kind selbstverständlich tagsüber pädagogischen Fachleuten anvertraut wird? Meiner Ansicht nach sollte es das Übliche sein! Siehe mein gestriger Beitrag: Selbst Kindern aus gut behütetem Hause tut es gut, wenn sie Alternativen zu ihrem guten Leben kennenlernen, weil in ihrem Kinderhaus Kinder jeder gesellschaftlicher Herkunft betreut werden. Das erhöht auch ihre Chance an Selbstbestimmung; soziale Kompetenz kann nur da entstehen, wo man Gelegenheit zu sozialem Empfinden, Denken und Handeln bekommt. Grundsätzlich ist das also nicht nur eine Frage der Gleichberechtigung von Mann und Frau, sondern auch eine der Gleichberechtigung des Kindes.

Um den letzten Gedanken nur kurz fortzusetzen: Von der Normalität, dass jedes Kind von klein an eine Tagesstätte besucht, könnte es natürlich viele familienindividuelle Variationen geben. Dies schließt, um es bloß anzudeuten, die ganze Palette familiärer Pflichten ein: Vom Windelwechseln über das Bringen zur und Abholen von der Kindertagesstätte bis zu notwendigen Entwicklungsgesprächen in Schule und Kinderhaus, von der Wohnungsreinigung über die Zubereitung von Speisen bis zu Kleinreparaturen usw. usf. Manche Familien könnten ganz gerecht bei allem halbe-halbe machen, andere wären sich einig in der Aufgabenteilung, etwa dass die Frau die Küche bedient und der Mann die regelmäßigen Großeinkäufe erledigt und die dabei unvermeidlichen schweren Sachen schleppt usw. usf. –

Nochmal zurück zur Pädagogik: Der Wert von Kinderhäusern und das Engagement der Erzieherinnen und Erzieher dort (siehe Beitrag gestern) täuschen nicht über die Situation hinweg, in der wiederum diese sich befinden. Wenn schon Kritik zu üben ist, müsste sie eigentlich in eine andere Richtung weisen: Nicht jeder Träger eines Kinderhauses erweist sich als kompetent. Die Arbeitsbedingungen sind oft genug schlecht bis katastrophal. Emden ist anscheinend ein herausragendes Beispiel, wie man mit Kreativität trotzdem was draus machen kann. Träger von Kinderhäusern sind wiederum neben Kommunen, freien Trägervereinen u.a. eben auch die Kirchen, und ausgerechnet der hohe Repräsentant einer derselben fängt an, Steine zu werfen!

Er dürfte nun damit beschäftigt sein, die Scherbenhaufen vor der eigenen Tür zusammenzukehren und täte gut daran. Die Arbeitssituation von Erzieherinnen und Erziehern hat sich in den letzten Jahren dramatisch verschlechtert. Trotz zusätzlicher Aufgaben wegen Bildungs- und Sprachqualifizierungsprogrammen, die seit PISA aus dem Boden schießen, wird aus Kostengründen der Personalstand eher abgesenkt als erweitert. Gleichzeitig müssen die PädagogInnen gegen äußere Hindernisse ankämpfen. Einrichtungen mit Schimmel im Haus oder anderen baulichen Mängeln sind nicht so selten, wie man landläufig glaubt. Krankheitszeiten nehmen zu – an Häufigkeit wie an Länge. Selbst körperlich unverbrauchte, leistungsstarke junge pädagogische Fachkräfte müssen die Segel streichen, wenn der Körper nach wochen- oder monatelanger Verschleppung von unterdrückter Krankheit nicht mehr mitmacht. Denn wie an vielen anderen Arbeitsplätzen der Republik traut mancher sich nicht immer, sich krank zu melden, wenn er es ist. Der Druck innerhalb der Teams ist enorm.

Zeitmangel ist in der pädagogischen Arbeit keine Ausnahme, sondern wird immer mehr zur Regel. Je mehr man öffentlich den Kindergarten als Bildungseinrichtung beschwört, desto mehr wird davon abgelenkt, dass die Entwicklung eher Richtung Aufbewahranstalt geht. Die Fortbildung lässt zu wünschen übrig, Vorbereitungszeiten gibt es in der Praxis oftmals nur theoretisch; Projekte und Angebote werden folglich entweder aus dem Ärmel geschüttelt oder die Vorbereitung in der privaten Freizeit geleistet ... Folge: Die Qualität der pädagogischen Betreuung wird nur mühsam gehalten – oder sinkt sogar, trotz aller Mühe der Pädagogen. Je mehr die Träger von Qualitätssicherung reden, desto mehr sollten Eltern hingucken. Es könnte sein, dass nicht nur in der Lebensmittelindustrie Etikettenschwindel betrieben wird.

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