Montag, 1. Januar 2007

Politisches Reden (2)

Eine wirksame Waffe politischer Streitkultur besteht darin, dass man streitet, ohne es formal zu tun. Ein Streit ist i.a.R. davon gekennzeichnet, dass zwei oder mehr Gegner einander widersprechende Aussagen machen und sich dabei argumentativ gegenseitig zu übertrumpfen suchen. In den allermeisten Fällen ist Emotion dabei im Spiel, die sich bis zu Wutausbrüchen, in schlimmen Fällen auch zur Gewaltanwendung (Prügelei o.ä.) steigern kann. Dass Emotionen evident sind, zeigen politische Debatten, in denen Argumente eigentlich die schärferen Waffen sind, Emotionen trotzdem häufig vorkommen.

Wie im Kursteil I beschrieben, ist es wirkungsvoll, wenn du gleichzeitig eine Sache und ihr Gegenteil behauptest (Doppelzüngigkeit ist eine schöne Beschreibung dafür), weil du dann bei jedwedem Vorwurf entgegnen kannst, du habest doch das Gegenteil gesagt!

Hier nun tritt das gekonnte nicht-Streiten in Aktion. Du machst deine Behauptung des Nichtbehauptet-Habens nicht etwa im aufgeregten, sondern im ruhigen Ton. Vielleicht fällt dir dabei sogar eine Liebenswürdigkeit an den Meinungsgegner ein, die du wie zufällig einflichtst. Diesem, der schon zum Hochsprung der Antwort „Doch, das haben Sie gesagt!“ (mindestens eine Quint über dem normalen Umgangston) und dem Flicflac eines wortwörtlichen Zitates deiner Aussage angesetzt hat, bleibt die Luft weg.

Er hat eigentlich nur noch zwei Chancen, die beide keine sind: Entweder er ist so verwirrt, dass er gar nicht mehr zielgerichtet reden oder handeln kann – er wird irgendeine sinnlose Übersprungshandlung zeigen. Oder er hat schon zum Sprung des offenen Vorwurfs angesetzt und kann nicht mehr zurück: Er wird damit im wahrsten Sinne des Wortes in der Luft hängen, was die unweigerliche Folge eines deftigen auf-die-Nase-Fallens nach sich zieht. 200 Punkte für dich!

Sonntag, 31. Dezember 2006

Politisches Reden (1)

Sage einen Satz über einen Menschen, der ihn in schlechtem Licht darstellt, alternativ: der deine eigene schlechte Meinung über ihn offen ausspricht. Mache einen Punkt, hole tief Luft und behaupte in einem weiteren Satz etwas Positives über dieselbe Person, das inhaltlich vage mit dem Thema des ersten Satzes zu tun hat. Achte dabei auf Finessen wie wortreiche Zusätze, Fremdworte und dergleichen.

Die eigentliche Abwehrstrategie aber besteht in der Formulierung von Kausalanschlüssen („weil ...“), Gegensätzen („obwohl ...“) und anderen Nebensätzen. Eine Verschachtelung von drei bis fünf solcher Relativierungen dürfte im Normalfall ausreichen.

Folge: Du kannst das Heikelste über einen Gegner, einen Vorgesetzten oder eine Person des öffentlichen Interesses sagen. Würde jemand auf die Idee kommen, dir das zum Vorwurf zu machen, steht dir als erste Abwehrmaßnahme die ganze Raffinesse des einfachen Ableugnens zu Gebote: Wer etwas behauptet, du habest das aber doch gesagt, muss das erst einmal beweisen. Sollte es dann doch etwas brenzlig werden, fällt das Netz des „mit-der-Wahrheit-Lügens“ auf die Feinde und verstrickt sie in die Tiefen der Widersprüche. Nein, nicht der Widersprüche der Aussagen deiner Feinde, das wäre viel zu plump. Die immanenten Gegensätze deiner eigenen Aussagen sind so fein gesponnen, dass du zu jedem Satz, der jemandem missfallen könnte, mit Unschuldsmiene und engelhaftem Augenaufschlag behaupten kannst: „Ich habe das genaue Gegenteil gesagt!“ 100 Punkte für dich!

Samstag, 30. Dezember 2006

Babel

Kinofilm "Babel" von Alejandro Gonzáles Iñárritu, Buch Guillermo Arriaga (ich meine im Abspann aber daneben auch den Namen des Regisseurs gelesen zu haben)

Episodenfilm. Um es etwas plakativ zu sagen: großes, sehr großes Erzählkino. Sicher wird es Leute geben, die den Film mit seinen 144 Minuten langatmig finden, und er hat tatsächlich Szenen, die nach meinem Geschmack kürzer sein könnten, zB eine in Tokio, wo zwei Freundinnen ein paar junge Kerle aufreißen und in die Disco gehen: gefühlte 10 Minuten Disco-Szene. Gerade in den langen Einstellungen aber auch die Stärke des Filmes: Er erzählt. ERZÄHLT!

Eine Beschreibung charakterisiert den Film als drei exemplarische Geschichten darüber, wie Menschen leben, sich aber wegen kleiner Missverständnisse fremd sind. Lässt sich drüber nachdenken.

Jedenfalls sehr sehenswert!

Freitag, 29. Dezember 2006

Sandkorn mit Lust

Die meisten Menschen, die in der Vergangenheit in irgendeiner Form die Gelegenheit und Macht hatten, Einfluss auf Jessica auszuüben, hatten hart daran gearbeitet, sie zu einem unfreien Menschen zu machen. In bester Absicht, aber in unglaublicher Dummheit. Sie verbrachte den Rest ihres Lebens damit, dies rückgängig zu machen und war stolz darauf, es darin aus ihrer Sicht weit gebracht zu haben. Nur dass bestimmte Narben da waren. Sie machten sie an ein paar Punkten berührungsempfindlich und scheu. Bestimmte Gefühle würde sie nie spontan, immer nur mit dem Kopf bewältigen; damit musste sie leben. Dazu gehörte eine Vielzahl von Ängsten. Das kostete sie einen erheblichen Teil ihrer Lebenskraft, und sie tat ihr Äußerstes, um trotzdem möglichst viel davon für ein im umfassenden Sinne kreatives Leben zu mobilisieren.

Jessica hoffte darauf, noch etwas wirklich Wichtiges tun zu können und zu dürfen, wenigstens einmal, am liebsten aber all die Jahrzehnte, die ihr noch blieben. Wenn sie bei guter Gesundheit bliebe, würde sie nicht früher in Rente gehen, wie das viele Menschen in Sozialberufen tun. Sie würde bis 67 Jahre arbeiten, mindestens! Sie war fest entschlossen, ihren Beruf so zu nutzen, dass nicht die „Korrektheit“ in der Versorgung im Vordergrund stand. Es musste möglich sein, Routine dafür einzusetzen, das gesetzmäßig Gebotene und das vom Arbeitgeber Vorgeschriebene möglichst kräfteschonend zu erledigen. Hatte es früher nicht sogar mal Streiks dieser Art gegeben, die man ironisch „Dienst nach Vorschrift“ nannte?

Jessica stellte sich vor, die dadurch entstehenden Ressourcen an körperlicher und seelischer Kraft zielgerichtet kreativ einzusetzen. FÜR die Menschen in ihrem Heim, für die MENSCHEN darin. Und nicht bloß für die Befriedigung von Vorschriften, die aufschrieben, was genau man bei einem alten Menschen durfte und was man tun musste. Und die einen bloß wegen Formalien in die Bredouille bringen konnten. Zum Beispiel neulich das heftige Personalgespräch mit bösen Vorhaltungen der Chefin wegen eines zu langen Schwätzchens mit einer alten Frau. Formal hatte es natürlich geheißen: Pflichtverletzung gegen die anderen. Mit dem wörtlichen Zusatz: „Wir haben keine Zeit für Kaffeekränzchen!“ Tja, formal stimmte es: Jessica hatte während der Arbeitszeit Kaffee getrunken. Im Sitzen. Skandalös!

Jessica nahm sich vor, wenn die Bürokratie nun mal so tief in ihren geliebten Beruf eingriff, dann eben mit Lust ein Sandkorn im Räderwerk der Bürokratie zu werden. „Wartet nur, ich komme!“ Ja, mit Lust.

Und ganz beiläufig schwor sich Jessica: Wenn man in der Funktion der Leitung so in Sachzwänge geriet wie ihre ehemalige Freundin und jetzige Chefin, dass man sich so negativ verändert, dann wollte sie nie selber eine Leitungsfunktion annehmen. Das nur mal nebenbei; könnte ja sein, dass ihre Vorgesetzte sie mal wegloben wollte, weil sie zu unbequem würde ... Nein, Jessica wollte lieber zur besten Feindin Erikas werden, das aber auf sehr kreative Art.

Donnerstag, 28. Dezember 2006

Freiheit

Freiheit ist, dass ich das tun darf, was ich als richtig und wichtig empfinde. Und dass ich sagen darf, was ich als richtig und wichtig empfinde. Unfreiheit ist, dass andere mir vorschreiben, was richtig und wichtig ist.

Warum jemand mir etwas vorschreibt, ist zum großen Teil in der Person des anderen begründet. Ob ich mir etwas vorschreiben lasse, ist zum großen Teil in meiner Persönlichkeit begründet.
Dass jemand in der Lage ist, mir etwas vorzuschreiben (in einer Weise, die mich zwingt, das Vorgeschriebene zu befolgen und dies selbst dann, wenn ich mich dagegen wehren möchte), ist vielfältigen Gründen geschuldet. Sehr wirksame Gründe sind Abhängigkeiten.

Abhängigkeiten:
Arbeit. Arbeitgeber -> Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer bekommt Geld, also kann der Arbeit- und Geldgeber über den Arbeit- und Geldnehmer bestimmen.
Familie. Hier ist es zunächst die emotionale Zusammengehörigkeit, die Abhängigkeiten schaffen kann; aber natürlich spielen wirtschaftliche Dinge auch eine Rolle (etwa bei großem Familienbesitz oder überhaupt, wenn viel zu vererben und zu erben ist). Auch kommt es vor, dass einzelne Familienglieder sich einfach das Recht nehmen, über die anderen (mit)zubestimmen. Siehe oben: Ob jemand anderen etwas vorschreibt, ist zum großen Teil in der Persönlichkeit des Vorschreibenden begründet. Manche legen es darauf an, andere Familienmitglieder abhängig zu machen – emotionale Bindung lässt sich sehr gut ausnutzen und wird sehr oft ausgenutzt, nicht nur in Familien. Und wer für emotionale Bindung „anfällig“ ist, ist leichter ausnutzbar als andere. (Was bedeutet, dass er wachsamer sein, besser auf sich aufpassen muss.)
Freundeskreis, Kirchen, Vereine usw. Von der Grundidee her eigentlich Beziehungen auf Freiwilligkeitsbasis, zumindest in der heutigen Zeit. (In früheren Zeiten war etwa Religionszugehörigkeit alles andere als freiwillig.) Da aber Beziehungen sich entwickeln und verändern, können Schieflagen und Abhängigkeiten entstehen. Nutzt das eine Seite aus, führt es entweder zum Bruch (etwa Vereinsaustritt) oder zu einer mehr oder weniger dauernden Abhängigkeit (manche Menschen existieren ihr Leben lang als Abhängige – liegt eben in ihrer Persönlichkeit begründet). Manche Abhängigkeit kann freilich eine scheinbare sein. Ein agiler Vereinsvorsitzender, der von seinen recht trägen Vereinsmitgliedern aus Bequemlichkeit immer wieder gewählt wird, dafür den Laden praktisch allein schmeißen muss: Er wird zwar ausgenutzt, aber lässt es mit sich machen, weil es ihm auch gefällt, unangefochten den Ton anzugeben.
Gesellschaft. Vielfältige Beziehungen, darunter Abhängigkeiten, auch wechselseitiger Art. Nur zum Beispiel: Ich kann bloß das kaufen, was von Kaufleuten angeboten wird. Händler und Dienstleister können umgekehrt nur bestehen, wenn ihre Dienste in Anspruch genommen werden. (So werden kleine Läden oft verdrängt von Großanbietern, wenn immer mehr bei den Großen und immer weniger bei den Kleinen geordert wird.)

Das Gegenteil von Abhängigkeit ist für mich nicht Freiheit an sich, nur so, als Selbstzweck. Sondern die Freiheit, in einer Beziehung meinen Beitrag zu leisten. Den Beitrag, den ich leisten kann und als richtig und wichtig ansehe. Zum Nutzen für den anderen und für mich und zum Nutzen der Gemeinsamkeit, die wiederum die einzelnen stärkt.

Einen Menschen stark machen bedeutet, ihn frei zu machen.


Das ist im übrigen auch ein pädagogischer Grundsatz, der z.B. in der Suchtprävention eingesetzt wird. Was Rückschlüsse auf die vielfältigen Suchtformen und -probleme unserer Gesellschaft zulässt. Er kann sowieso als Ausgangspunkt vieler weiterer grundlegender pädagogischer Regeln und Handlungsmaximen gelten.

Nebulös

Nachtrag zum Nebel in London kurz vor den Feiertagen. Ich machte mir Notizen darüber, kam aber nicht dazu, sie in mein Blog zu stellen.

Solche Vorkommnisse wie die mit dem Nebelchaos in London wundern mich immer wieder. Flugzeuge können noch starten und landen, müssen aber aus Sicherheitsgründen größere Abstände einhalten. Dies führt zu Wartezeiten und nachfolgend zu Staus. Das leuchtet ein.

Was nicht einleuchtet, ist die Größe des Durcheinanders und die Menge der Menschen, die tagelang auf dem Flughafen warten müssen.

Man könnte es vergleichen mit Nebel auf der Autobahn: Die Autos können noch fahren, aber langsamer – so gibt es Stau. Nur sitzen in Autos lauter Individuen, die zudem nicht für Extremsituationen geschult sind; jeder fällt seine Fahrentscheidung für sich allein. Den Verkehr auf einem Fughafen regeln aber nicht Laien, die bloß einen Führerschein haben, sondern gut ausgebildete Spezialisten, und Nebel gibt es nicht zum ersten Mal in London. Man müsste doch bei entsprechender Wetterbeobachtung voraussagen können, dass es Flugverzögerungen gibt. Dann kann man gestaffelte Maßnahmen ergreifen, von der Vorwarnung der Fluggäste bis zum schrittweisen Canceln von Flügen. Es ginge den Leuten besser, wenn sie in Londons Innenstadt in einem Hotel oder Café ein bis drei Tage warten müssten, als wenn sie das nun auf dem Flughafen zu tun gezwungen sind. Ein Fluggast im ZDF-Morgenmagazin: Alle seine Winterkleidung ist auch noch falsch umgeleitet; er sitzt mit Sommerklamotten im Londoner Winternebel und friert.

So mit Kunden umzugehen, dünkt mich wie gut verschleierter Dilettantismus. Und alle tun so, als seien diese Umstände gottgegeben, dabei ist es nur grottenschlechte Kommunikation.

Mittwoch, 27. Dezember 2006

Geschäftsgebaren

Das Berufsleben bringt merkwürdige Stilblüten des menschlichen Miteinanders hervor. Geschäftsbeziehungen, die davon geprägt sind, einem möglichen Kunden oder Kooperationspartner, der Geld einbringen könnte, Stärke zu demonstrieren. Alles wird hingebogen, damit es „passt“: Zahlen (aus 100 wird schnell 150, weil das besser klingt), Gesichter (Lächelzwang bis zur Maskerade), Sprache (Smalltalk as smalltalk can) usw. ...

Daneben gibt es auch eingespielte Verhaltensweisen innerhalb des Kollegenkreises. Nachlässigkeiten wie die neulich erwähnte Gedankenlosigkeit gibt es nicht nur im Straßenverkehr, auch unter Kollegen, und fällt bei genauem Hinsehen ebenso als verkappter Egoismus auf. Oder die Eigenheit, auffällig oft von einem älteren Kollegen zu sprechen. Da ist mal von dessen Krankheitsausfällen die Rede oder von anderem. Nach außen wird Fürsorge für den Kollegen wie auf einem Silbertablett herumgetra-gen. Aber subtil der Eindruck erweckt, es werde Zeit, dass der jetzt in Rente geht. Das Fachdeutsch der PR-Branche: „Wie können wir das kommunizieren?“ bekommt hier im Alltag ganz neue Bedeutung: Da versteht es jemand, durch Sprache zu manipulieren. Würde man das Thema offen ansprechen, bekäme man entrüstet zu hören: „Das habe ich nie gesagt!“ Natürlich wurde nie gesagt, es werde Zeit, dass der alte Kollege in Rente geht. Und trotzdem schwebt es im Raum. Es wurde kommuniziert, ohne dass es gesagt wurde.

Missbrauch einer kollegialen Beziehung, Missbrauch der Sprache. Folgen? Man traut der Freundschaft nicht mehr, die mal unter den Kollegen herrschte. Man traut den Aussagen nicht mehr, die gemacht werden. Alles, was gesagt wird, kann noch etwas anderes, Unausgesprochenes bedeuten.

Dienstag, 26. Dezember 2006

Weihnachten = ?

Mit Menschen zusammen sein, die man liebt. Zeit gemeinsam verbringen (man hat das Jahr über zu wenig Zeit dafür), sich miteinander freuen, einander Freude bereiten. Das ist nicht wenig für ein Weihnachtsfest.

Mittwoch, 20. Dezember 2006

Übrigens

habe ich bisher nicht gewusst, woher der AIDS-Erreger stammt. Vor sieben Jahren soll von einer Mikrobiologin nachgewiesen worden sein, dass er von Schimpansen aus dem Westkongobecken stammt. Dort soll er auf den Menschen übergesprungen sein.

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