Freitag, 29. Dezember 2006

Sandkorn mit Lust

Die meisten Menschen, die in der Vergangenheit in irgendeiner Form die Gelegenheit und Macht hatten, Einfluss auf Jessica auszuüben, hatten hart daran gearbeitet, sie zu einem unfreien Menschen zu machen. In bester Absicht, aber in unglaublicher Dummheit. Sie verbrachte den Rest ihres Lebens damit, dies rückgängig zu machen und war stolz darauf, es darin aus ihrer Sicht weit gebracht zu haben. Nur dass bestimmte Narben da waren. Sie machten sie an ein paar Punkten berührungsempfindlich und scheu. Bestimmte Gefühle würde sie nie spontan, immer nur mit dem Kopf bewältigen; damit musste sie leben. Dazu gehörte eine Vielzahl von Ängsten. Das kostete sie einen erheblichen Teil ihrer Lebenskraft, und sie tat ihr Äußerstes, um trotzdem möglichst viel davon für ein im umfassenden Sinne kreatives Leben zu mobilisieren.

Jessica hoffte darauf, noch etwas wirklich Wichtiges tun zu können und zu dürfen, wenigstens einmal, am liebsten aber all die Jahrzehnte, die ihr noch blieben. Wenn sie bei guter Gesundheit bliebe, würde sie nicht früher in Rente gehen, wie das viele Menschen in Sozialberufen tun. Sie würde bis 67 Jahre arbeiten, mindestens! Sie war fest entschlossen, ihren Beruf so zu nutzen, dass nicht die „Korrektheit“ in der Versorgung im Vordergrund stand. Es musste möglich sein, Routine dafür einzusetzen, das gesetzmäßig Gebotene und das vom Arbeitgeber Vorgeschriebene möglichst kräfteschonend zu erledigen. Hatte es früher nicht sogar mal Streiks dieser Art gegeben, die man ironisch „Dienst nach Vorschrift“ nannte?

Jessica stellte sich vor, die dadurch entstehenden Ressourcen an körperlicher und seelischer Kraft zielgerichtet kreativ einzusetzen. FÜR die Menschen in ihrem Heim, für die MENSCHEN darin. Und nicht bloß für die Befriedigung von Vorschriften, die aufschrieben, was genau man bei einem alten Menschen durfte und was man tun musste. Und die einen bloß wegen Formalien in die Bredouille bringen konnten. Zum Beispiel neulich das heftige Personalgespräch mit bösen Vorhaltungen der Chefin wegen eines zu langen Schwätzchens mit einer alten Frau. Formal hatte es natürlich geheißen: Pflichtverletzung gegen die anderen. Mit dem wörtlichen Zusatz: „Wir haben keine Zeit für Kaffeekränzchen!“ Tja, formal stimmte es: Jessica hatte während der Arbeitszeit Kaffee getrunken. Im Sitzen. Skandalös!

Jessica nahm sich vor, wenn die Bürokratie nun mal so tief in ihren geliebten Beruf eingriff, dann eben mit Lust ein Sandkorn im Räderwerk der Bürokratie zu werden. „Wartet nur, ich komme!“ Ja, mit Lust.

Und ganz beiläufig schwor sich Jessica: Wenn man in der Funktion der Leitung so in Sachzwänge geriet wie ihre ehemalige Freundin und jetzige Chefin, dass man sich so negativ verändert, dann wollte sie nie selber eine Leitungsfunktion annehmen. Das nur mal nebenbei; könnte ja sein, dass ihre Vorgesetzte sie mal wegloben wollte, weil sie zu unbequem würde ... Nein, Jessica wollte lieber zur besten Feindin Erikas werden, das aber auf sehr kreative Art.

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